Papierschnipsel im Turm 9

Kulturtipp von Michaela Reisenberger

Aktuell zeigt die KUVA im Turm 9 – Stadtmuseum Leonding eine kulturhistorische Sonderausstellung mit dem Titel: „PAPIER, in Bausch und Bogen“. Ganz dem Thema entsprechend war es uns beiden Kuratorinnen, Bibiana Weber und Michaela Reisenberger, wichtig eine begreif-, seh- und hörbare Ausstellung zu entwickeln und zu gestalten. Denn das Papier in all seinen Facetten steckt immer noch voller sinnlicher Möglichkeiten.

Da wir beide Papierliebhaberinnen sind, war die Themenfindung für unser erstes gemeinsames kuratorisches Projekt schnell abgeschlossen. In der Recherche zum Papier begannen wir bei traditionellen Herstellungsmethoden des Büttenpapiers und dem Beginn der Papierproduktion in Europa. Auf unserem Weg entdeckten wir viel Wissenswertes, auch Kurioses und zudem sehenswerte künstlerische Papierarbeiten, die historische Geschichten erzählen. Es begegneten uns spannende Persönlichkeiten, gefährliche Tiere, altes Handwerk und unzählige unterschiedliche Papierarten. Ein paar nennenswerte Schnipsel aus der Papierausstellung machen vielleicht neugierig auf mehr.

Nachdem auf Papyrus, Pergament und Wachstafeln geschrieben wurde, entstand im 13. Jahrhundert in dem italienischen Ort Fabriano die erste Papiermühle Europas. Die ursprüngliche Papierherstellung benötigte als Rohmaterial Lumpen. Ausschließlich Baumwolle, Hanf, Flachs und Leinen wurden bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Produktion verwendet. Die wachsende Nachfrage und die damit einhergehende steigende Papierproduktion führte dann aber zu einem dauerhaften Mangel an den notwendigen Materialien.  Wie konnte dieses Problem gelöst werden? In der Ausstellung beantworten diese Frage einige spektakuläre Wespennester!

Bild: Darstellung ursprünglicher Papierherstellung in der Papiermühle, Fabriano 1450

Credit: Alamy Stock Foto

Psaligrafie, was kann das bedeuten? Dieses schöne Wort kommt vom griechischen Begriff Psalis (Schere) und bezeichnet daher den Papierschnitt. Dieser künstlerischen Technik haben wir einen Bereich in der Schau gewidmet und zeigen Arbeiten der bedeutendsten österreichischen Scherenschnittkünstlerin Josefine Allmayr. Nicht ohne Grund liegen dort für die Besucher:innen Lupen auf. Denn die Feinheit ihrer Arbeiten ist wirklich beeindruckend.

Silhouette, ist ein weiteres Wort mit einer spannenden Geschichte. Der Ausdruck leitet sich vom französischen Generalkontrolleur für Finanzen unter Ludwig XV., Étienne de Silhouette, ab. Er veranlasste Einsparungen aufgrund der leeren Staatskassen. So sollten unter anderem statt teurer Papier-Miniaturporträts kostengünstigere und schnell und einfach herzustellende Silhouetten Anwendung finden. Das führte zu Spott und Hohn aus der Bevölkerung. Silhouette scheiterte mit seinem Sparkurs, sein Name als Synonym für das aus Papier geschnittene Profil blieb und wurde über die Grenzen Frankreichs bekannt.


Bild: Josefine Allmayer, Scherenschnitt aus der Schaffensphase 1923-1945
Credit: Universalmuseum Kierling

Nach den Lupen, liegen nun Fineliner für die Besucher:innen bereit. Ein Exlibris für das Lieblingsbuch kann gestaltet werden. Exlibris zählen zu der Gruppe der Kleingrafik und dienten als Besitzvermerk zum Einkleben in Büchern. „Ex Libris“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „aus den Büchern“. In den frühmittelalterlichen Schreibstuben der Klöster wurden noch handschriftliche Bucheigner:innenzeichen verwendet. Durch die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern wurden Bücher preiswerter und der Leser:innenkreis vergrößerte sich. Es kam zur Blüte der Bibliotheken und der Wunsch, den eigenen Buchbesitz zu kennzeichnen, wurde selbstverständlich. Auf der ersten Seite klebten nun kleine, gedruckte, grafische Kunstwerke, die Exlibris. Hinter jedem einzelnen Exlibris verbirgt sich eine besondere Geschichte. Das persönlich gestaltete Exlibris darf mit nach Hause genommen werden.

Nun werden wieder freie Hände benötigt. Jetzt gilt es dem – für das Papier – gefährlichsten Tier tief in die Augen zu blicken. Unter dem Mikroskop befindet sich das Ctenolepisma longicaudata. Diese Schädlinge werden bis zu acht Jahre alt und legen rund 50 Eier pro Jahr. Sie ernähren sich von zucker- und stärkehaltigen Produkten und beides ist in Papier enthalten: Zucker in der Zellulose, Stärke im Leim. Papiere der Industrielager, Kunst- und Kulturschätze in Archiven, Bibliotheken und Museen sind von dem Fraß der Tierchen bedroht. Sehenswert ist unser Papierfischchen auf jeden Fall.

Zum Abschluss der Schau lässt es sich noch wunderbar wundern, in der Wunderkammer im Dunklen. Der Begriff Wunderkammer tauchte erstmals im 16. Jahrhundert in der Zimmerischen Chronik auf und benannte einen Raum, der die ganze Welt im Kleinen zeigen soll. Kunst- und Wunderkammern gelten als Vorläufer der heutigen Museen. Deren Sammlungen sollten zu Studienzwecken genutzt werden, hatten aber auch hohen repräsentativen Stellenwert. In unserer Wunderkammer schwebt nicht nur der Heißluftballon der Gebrüder Montgolfier von der Decke. Um alles ins rechte Licht rücken zu können, liegen natürlich Taschenlampen bereit.

Bild: Heißluftballonflug vor den Augen der königlichen Familie, Versailles 1783

Credit: Alamy Stock Foto

Neben diesen kleinen, hier erwähnten, Papierschnipsel befinden sich noch so einige Aspekte mehr in der Ausstellung. Die Papierbibliothek zum Beispiel. Oder der interaktive Bereich zu den DIN-Formaten. Auch ein Begleitheft ist verfügbar.

Übrigens „In Bausch und Bogen“ könnte von der Flurvermessung kommen oder es referiert auf den Begriff „Pautsch“, den Papierstapel bei der klassischen Papierherstellung. Es könnte auch Bezüge zur Rechts- und Kaufmannssprache geben, wo es ursprünglich die Abmessung eines Grundstücks beim Kauf oder Verkauf ohne Berücksichtigung einzelner Abweichungen im Grenzverlauf bezeichnete. Klar zu sein scheint, dass seit Anfang des 18. Jahrhunderts dieser Ausdruck für den Warenhandel belegt ist und er heute im Sinne von „überschlägig, im Ganzen genommen“, verwendet wird.

Michaela Reisenberger & Bibiana Weber
Kuratorinnen der Ausstellung
PAPIER, in Bausch und Bogen

Bis 28.01.2024 im Turm 9 – Stadtmuseum
www.kuva.at